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Hans-Joachim Lange, Physiker

 

Lässt sich die Wahrheit erkennen? – Der Physiker

 

Ein Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Glaube

 

Vielen Dank für die Einladung zu einem Teil-Vortrag mit dem Thema "Lässt sich die Wahrheit erkennen?" Können sich dabei Glaube und Physik, letztere als Basis alle­r Naturwissen­schaften, ergänzen? Oder behindern sie sich gegenseitig? Als mich Cornelia vor einem ¾ Jahr mit diesem Thema ansprach, sagte ich sofort zu. Es gefiel mir, einmal erzählen zu dürfen, dass man während der Beschäf­ti­gung mit Physik Erfahrungen machen kann, die über die inhaltlichen Aussagen der Physik hinaus­gehen.

 

Wenn man nämlich darüber nachdenkt, wie harmonisch und umfassend die Aussagen über die Natur sein können, die in einer einfachen Grundidee verschlüsselt sind, voll­zieht sich ja nicht nur eine Vermehrung des Sachwissens, sondern auch ein eigenes Erleben beim Erken­nen solcher Zusammenhänge. Zur Wahrheitserken­nung im Bereich der Physik kommt also eine metaphysische Wirklichkeit hinzu, und dieses Erleben entspricht ja vielleicht schon einer religiösen Erfahrung.

 

Also: Kooperation und keine Behinderung beim Erkennen der Gesamt­wahrheit !? - Natürlich ist das noch nicht die ganze Antwort. Zum Beispiel widersprechen sich nun einmal ein Vertrauen in physikalische Gesetze und ein Glaube an Wunder. Wenn man die Bibel wörtlich nimmt, und das tun nach einer ARD-Umfrage immer­hin 50% der Amerikaner, dann wird es schwierig. Es wird aber auch schwierig, wenn Natur­wissenschaftler eine stark-naturali­stische Position vertreten, wenn sie also nicht nur behaupten, dass es einen beobacht­baren naturgesetz­lichen Teil der Welt gibt, sondern wenn sie auch behaupten, dass es einen anderen Teil der Welt nicht gibt.

 

Meine Vorbereitung zu diesem Thema gestaltete sich als etwas schwierig, aus zwei Gründen. Erstens möchte ich keine religiösen Gefühle verletzen. Wenn jemand an Wunder glaubt und daraus Lebenskraft schöpft, soll ich dann Natur­gesetz­lichkeit predigen? Und zweitens bin ich ja kein Theologe oder Philosoph, und es war auch nicht so einfach, mich in der diesbezüg­lichen Begriffswelt zurecht­zufinden. Wenn wir Naturwissenschaftler manchmal den Vorwurf hören, wir können unseren Fach-Slang nicht abstellen, dann könnte ich den Ball einfach zurückgeben.

 

Oder sollten wir uns gegenseitig zuge­stehen, dass solche Vorwürfe falsch sind, weil ja Fach­begriffe gar keine Slangs sind, sondern Zusammenfassungen von Vorher­gedach­tem, und dass ihre über­ängst­liche Vermeidung die Folge hätte, in angemessener Zeit kaum mehr als Trivialitäten auszutau­schen? Zwar ist es kaum möglich, abstrakte mathematische Beschrei­bungen im Detail nachzuvoll­ziehen, wenn man Mathematik nicht studiert hat. Aber das ist für eine Teilhabe am physika­lischen Beitrag zur Wahrheitssuche gar nicht notwen­dig.

 

Hier folge ich dem Physiker Feynman, der sinngemäß gesagt hat, was er ohne Mathematik nicht erklären kann, das hat er selbst nicht verstanden. Ich denke, abgesehen von der Mathematik haben Naturwissen­schaft und Theologie gar keine unter­schied­lichen Sprachen. Sie haben nur einen unterschiedlichen Vorrat an Päckchen von schon einmal Gedachtem, von Fachbegriffen eben. Im Allgemeinen sind aber dem interessierten Laien die einfachsten und grundlegendsten Begriffs­bildun­gen der jeweils anderen Seite etwas vertraut. Und das reicht für Dialoge schon aus.

 

Allerdings möchte ich einmal meinen Eindruck zur Diskus­sion stellen, dass nämlich unser Bildungs­ideal ungleichgewichtig, vorwiegend geistes­wissen­schaft­lich, geprägt ist, etwa nach dem Motto: Naturwissenschaften sind wichtig für technische Anwen­dungen, aber menschlich-existenziell weiterbringen können mich nur Geistes­wissen­schaften.

 

Wenn dieser Eindruck richtig ist, dann ist natürlich tendenziell das Grundwissen über die jeweils andere Begriffswelt bei Geistes­wissenschaftlern geringer ausgeprägt. Alle hier Anwesenden sind von diesem Verdacht selbstverständlich aus­ge­nommen, denn die mit Ihrer Einladung verbundene Fragestellung zeigt ja, dass für Sie Naturwissen­schaft nicht nur Technik bedeutet, sondern dass Sie es für möglich halten, dass Naturwissenschaft auch in Sachen "Wahrheits­erkennung" relevant sein könnte.

 

Wenn aber im Durchschnitt eben doch das von mir vermutete Ungleichgewicht besteht, dann verschafft das paradoxer­weise den Natur­wissen­schaft­lern einen fragwürdigen Vorteil: Sie können der anderen Seite vieles erzählen! Es wird ja meistens geglaubt! Und wenn man beim Publizieren Öffentlich­keit oder Geld gewinnen kann, weil ein Thema medial hoch­ge­kocht wird, dann leidet die Objektivität noch mehr. Das haben wir früher erlebt, als die Chaos­theorie in aller Munde war, und das erleben wir heute angesichts einer Flut von Büchern mit Titeln wie "Schöpfung ohne Schöpfer", "Schöpfung aus dem Nichts", "Gehirn ohne Willensfreiheit", usw.

 

Auch die vielen auf dem Markt befindlichen Diätbücher sind ein Beispiel. Sie sind ja alle hochwissenschaftlich begründet und widersprechen sich trotzdem. An dieses Beispiel erinnert mich auch die Publizistik zur aktuellen Klima­diskussion, die mein eigenes Fach betrifft. Auch hier wird der Laie unter dem Deck­man­tel der stren­gen Wissenschaftlichkeit extrem verunsichert. Wie wohl­tuend ist da das Gegenbeispiel der Schauspie­lerin Lisa Fitz, als sie kürz­lich in einer Fernseh­diskus­sion sagte, sie habe vor einer globalen Verblödung noch mehr Angst als vor einer globalen Erwärmung.

 

Dass man mit einem dermaßen sensiblen und kom­plexen System wir der Atmo­sphäre umsichtig, und nicht sorglos umgehen sollte, kann man auch ohne Halb­wahr­heiten und vor allem auch ohne Manipulationen sagen. Die einfachste Erklärung ist nämlich die, dass man kom­plexe Systeme sowieso nicht ursächlich – deter­ministisch vorher­sagen kann. Nach 30 Jahren hauptberuflichen Nachdenkens behaupte ich: Ob die Atmosphäre von anthropogenem CO2 signifikant beeinflusst wird, oder ob sie sich über das biss­chen CO2 nur kaputt lacht, das wissen wir nicht! Aber gerade weil wir es nicht wissen, dürfen wir nicht sorglos sein! Die Maxime für unseren Umgang mit Umwelt und Klima sollte unser Nichtwissen sein, aber eben nicht das vermeintliche Wissen, mit welchem Klimawarner und Klimaskeptiker gleichermaßen trommeln. Hier ist nämlich tatsächlich eine Grenze der wissen­schaft­lichen Möglich­keiten erreicht. Ich komme natürlich noch darauf zurück, denn die Grenzen der Wissenschaft gehören ja zu unserem heutigen Thema.

 

Die Aussage­möglichkeiten der Naturwissenschaften werden erst recht überschätzt, wenn man sagt, es gäbe bald eine Theorie von allem, (also nicht nur eine lückenlose Theorie der Atmo­sphäre, sondern buchstäb­lich von allem), und dann könne man auch die gesamte Evolution des Univer­sums reduktionistisch erklären, bis hin zum sich selbst erkennen­den Gehirn. Eine physikalische Theorie von wirklich allem würde ja auch philosophi­sche und theologische Aussagen um­fassen, wenn auch nur ihre richtigen Aussagen, die falschen ja nicht! Ist das nicht witzig? - Auch unsere heutige gemeinsame Suche nach der Wahrheit würde sich erübrigen.

 

Eine physikalische Theorie von wirklich allem kann es nicht geben! Dieses zu verdeut­lichen, ist hier und heute mein Hauptanlie­gen. In einem abgegrenz­­ten Teilbereich der Realität jedoch kann die Physik durchaus den Versuch einer Wahr­heits­­findung über­nehmen. Meines Erachtens verdienen die Natur­gesetze ein Vertrauen in der Hinsicht, dass Gott trotz seiner Allmacht nicht an ihnen rührt. Warum sollte er auch, er hat sie ja selbst gemacht, diese Naturgesetze! Warum sollte er ein Universum wie ein Techniker in Gang setzen, um es danach ständig neu zu justieren und zu reparieren?

 

Für den Schöpfergott wäre es leichter gewesen, viele zusam­men­­hanglose Entitäten zur "Welt" werden zu lassen, als eine Physik zu erfinden, der zufolge aus einem Anfang heraus oder auch von Ewigkeit zu Ewigkeit sich alles zwanglos ergibt, sogar der Mensch, der dann auch noch diese ungestörte Gesetzmäßigkeit ein Stück weit verstehen kann. Wir sollten dem Schöpfer diese schwieri­gere Schöpfungs­arbeit schon zu­trauen. Hätte er die einfachere, regellose Schöpfung gewählt, gäbe es ja nicht die Regeln, die wir staunend ver­stehen lernen, begleitet vom eingangs beschriebenen metaphysischen Erleben. Diese Art der Gottesnähe wäre ja ohne Natur­gesetze gar nicht möglich!

 

Und was sieht nun der staunende Mensch vom einseh­baren Teil der Schöpfung? Er sieht ein überwältigend schönes physi­ka­li­sches System. „Schön“ heißt hier, dass die Naturgesetze hervorgehen aus einem Regelwerk von einfachen Symmetrien, die man mathe­matisch definiert. Und trotz dieser Einfachheit hat das Regelwerk das Potenzial, auch kom­plexe Strukturen hervorzubringen.

 

Was aber hindert dann die Naturgesetzlichkeit daran, im Rahmen des physikalischen Fortschritts doch irgendwann eine Theorie von allem zu werden? Das tut die Beschei­den­heit, die die Physik zu Beginn des 17. Jahrhunderts sich selbst auferlegt hat, durch Galilei, Kepler und andere. Seitdem be­schränkt sich die Physik von vornherein auf die Teile der Realität, die einer Mes­sung zugäng­lich sind. Und erst seitdem ist die Physik auch erfolgreich. Ihre Bescheidenheit war also nicht ganz uneigennützig. Messung als oberste Kontrollinstanz der physikalischen Aussage bedeutet aber nicht den Verzicht auf eine theoretische Komponente der Physik, die die Natur­gesetze überhaupt erst formu­liert.

 

Die Vertrauenswürdigkeit der Natur­gesetze wäre aller­dings falsch begründet, wenn man sagte, sie seien durch Experi­mente abgesichert. Vielmehr hat Karl Popper eine er­kennt­nis­theore­tische Grenze der Physik herausgear­beitet. Hiernach führt ein Experiment bei Nichtüber­ein­stim­mung mit der Theorie zwar zur sofortigen Falsifizierung, zum Aus der Theorie, bei Übereinstim­mung aber leider nicht zu ihrer Verifi­zie­rung. Das liegt daran, dass Theorien allgemeine Aus­sagen machen, Experi­mente aber immer nur unter speziellen Umge­bungs­bedingungen durch­geführt werden können. Man kann zwar versuchen, in vie­len Experimenten auch viele solcher Bedingungen zu erfassen, aber nie alle.

 

Mein eigenes berufliches Fach­gebiet ist ja die Physik der Atmo­sphäre, und hier können wir leider gar keine Serien-Experi­mente durchführen. Wir können nur das eine Experi­ment beob­achten, das die Natur selbst durchführt. Eine ganz andere Grenze der Physik liegt dann vor, wenn man Falsifizierungsexperi­mente nicht durchführen kann, weil sie zu teuer sind, weil die Ressourcen der ganzen Erde nicht ausreichen, oder, nicht zuletzt, weil sie ethische Grundsätze verletzen.

 

Kann man nun durch Experimente, (wenn man sie über­haupt durchführen kann und darf), nur verlieren, weil man ja dabei die Gültigkeit seiner schönen Theorie aufs Spiel setzen muss, ohne auch eine Chance auf eine Verifizierung zu haben? - Nein, man kann auch gewinnen, denn natürlich steigt der Wert einer Theorie mit jedem über­standenen Falsifizie­rungs­­versuch an. Ihre Validität, oder wie ich vorhin sagte, das Vertrauen in sie, steigt an.

 

Übrigens kann man auch die gesamte Technik als eine Samm­lung von Falsifizierungsversuchen ansehen. Technik ist ja nichts anderes als praktische Anwendung von Natur­gesetzen. Wenn aber Theorien, die nach Popper nie ganz sicher sind, techni­sch angewendet werden, dann muss die Technik auch ver­sagen dürfen. Wenn also demnächst bei der Tagesschau Ihr Fernseher plötzlich dunkel wird, dann beachten Sie bitte, dass möglicherweise nicht der Strom ausge­fallen ist, sondern dass Sie vielleicht soeben die Theorie der elektro-magnetischen Wellen falsifiziert haben. - Falls Sie dieses Beispiel paradox finden, dann zeigt das ja gerade, dass Ihr Vertrauen in die Gültig­keit der Naturgesetze bereits sehr groß ist, zumindest der Natur­gesetze, die technisch angewendet werden.  

 

Es gibt aber auch erstaunliche Gegenbeispiele. Bei Navi­ga­tions­geräten, die auf einer Landkarte anzeigen, wo man sich gerade befindet, sind ebenfalls elektro­mag­netische Wellen im Spiel. Sie werden zwischen dem Gerät und einem Satelliten ausge­tauscht.

Die ersten technischen Versuche scheiterten, aber nicht weil die Stromversorgung oder andere tech­nisches Details fehlerhaft waren, sondern tatsächlich, weil die hier ange­wen­dete Newtonsche Theorie nicht stimmte, der zufolge die Schwerkraft, auch Gravitation genannt, keinen Einfluss auf elektromag­ne­tische Wellen hat. Diese Theorie hatte aber schon 200 Jahre lang Ver­trau­en erworben, in unzähligen Falsifizie­rungs­­­ver­suchen. Und dennoch, Navigations­geräte funktionieren erst, wenn man nicht Newtons, sondern Einsteins umfassen­dere Gravi­tations­theorie anwendet, die man auch Allgemeine Relativitäts­theorie nennt. Damit ist aber die Validität dieser allgemeineren Theorie ange­stiegen.

 

Wir stellen also fest, dass die Physik Fortschritte macht, dass man immer mehr Fragen an die Natur natur­ge­setz­­lich beantworten kann.

Offenbar gibt es aber nicht eine, sondern zwei Grenzen zwischen naturgesetz­lich Erklärbarem und Nichterklär­barem, nicht nur die soeben beschriebene, zeitabhängige Grenze, die vom jeweiligen Stand der Physik abhängt, sondern auch die vorher besprochene messtechnisch-methodisch bedingte, also zeitun­abhängige Grenze. Und wenn man unbedingt von einer "Theorie von allem" reden möchte, dann kann man damit nur meinen, dass die zeitabhängige Grenze die zeitunabhängige Grenze erreicht hätte. Es wäre dann aber keine "Theorie von allem", sondern nur eine "Theorie von allem natur­wissen­schaftlich Erklärbarem".  

 

Ich meine, dass es diese Existenz von zwei Grenzen ist, die zu so schlimmen Miss­verständ­nissen zwischen Natur­wissen­schaft und Theologie geführt hatte. Nun können aber wir sagen, dass Gott dann nicht vor der ständig voran­schreiten Natur­wissenschaft zurückweichen muss, wenn man sein direktes Wirken erst jenseits der zeitunabhängi­gen Grenze postuliert, und nicht schon jenseits der aktuellen, veränderlichen Grenze. Den Bereich zwischen diesen beiden Grenzen möchte ich den potenziell-wissenschaft­lichen Bereich nennen. Und alle drei Bereiche gehören natürlich zur Gesamt­wirklichkeit. Ein Beispiel möge das verdeutlichen.

 

Die Fluchtgeschwin­dig­keit der Galaxien kann man messen und theoretisch erklären. Hier sind wir also im naturwissenschaftlichen Bereich. Da sich die von­einander fliehen­den Galaxien wegen der Schwerkraft gegenseitig anziehen, sollte sich ihre Flucht­geschwin­­dig­keit eigent­lich verringern. Man hat aber 1998 gemessen, dass sie zunimmt, und dafür gibt es zurzeit keinerlei physikalische Erklärung. Hier sind wir also im potenziell-wissenschaftlichen Bereich. Aber egal ob beschleunigt oder abge­bremst, den Einfluss, den die Expan­sion des Universums auf unser Bewusst­sein hat, kann man nicht messen. Hier sind wir im metaphysischen Bereich.

 

Man kann wohl messen, welche Neuronen bei welcher Gehirn­­­leistung mehr Energie verbrauchen und welche nicht. Das erklärt aber doch nicht das Bewusstsein als solches! In diesem Zusammenhang möchte ich einmal aus einem Mani­fest elf führen­der Neurowissen­schaftler über Hirnforschung zitieren, das ich im Internet gefunden habe. Hier heißt es: "Aller Fortschritt wird nicht in einem Triumph des neuro­nalen Reduk­tionismus enden. Auch eine Fuge von Bach verliert nichts von ihrer Faszination, wenn man genau verstanden hat, wie sie auf­ge­baut ist. Die Hirnfor­schung wird klar unterscheiden müssen, was sie sagen kann und was außerhalb ihres Zuständigkeits­bereichs liegt." - Also: Auch Hirn­forscher kennen und anerkennen die grund­sätzliche, zeitunabhän­gige Grenze der Wissen­schaft.

 

Ich fasse den ersten Teil meines Vortrags kurz zusam­men. Kann man die Wahrheit erkennen, haben wir uns gefragt. Aus Sicht der Physik lautet meine Antwort „nein“, weil die Methode der Physik gar nicht auf Wahrheitsfindung abzielt, sondern auf Hypothesen, die durch möglichst viele Beobachtungen Vertrau­en gewinnen sollen, die aber nie ganz sicher werden können. Trotz ihrer Unbeweis­barkeit verlassen wir uns aber täglich auf die Gültigkeit der Physik. Man kann viel­leicht sagen, die Wahrheiten, die in den technisch ange­wende­ten Naturgesetzen enthalten sind, sind "so gut wie bewiesen".

 

Das gilt aber meist nicht in Grenz­bereichen der Physik. Eine Ausnahme ist die Allgemeine Relativitätstheorie. Dass auch diese Theorie technisch angewendet werden kann, ist ja gut. Dass der Mensch mit dieser Theorie aber auch seine Sehnsucht nach einem besseren Verständnis seiner kosmischen Heimat ein wenig stillen kann, ist noch besser, weil auch existentiell bedeutsam. Aber diese Sehnsucht ist offenbar größer als das Erklärungs­po­ten­tial der Physik. Daher brauchen wir auch Philosophie und Theologie, sei es, um dieser Sehnsucht weiterhin zu ent­sprechen, sei es, um etwas anderes, vielleicht noch Wichtigeres einzubringen.

 

Wie weit die Physik trotz ihrer grundsätzlichen Beschrän­kung auch noch zur Wahrheitsfindung beitragen kann, muss sie selbst noch herausfinden. Man weiß heute manchmal noch nicht einmal, ob eine ins Auge ge­fasste Grenze nur den potentiell-wissen­schaft­lichen Bereich abgrenzt, oder doch schon den metaphysischen Bereich. Das möchte ich in der zweiten Hälfte meines Beitra­ges näher erläutern, und zwar anhand von vier Beispielen. Im ersten Beispiel sollen die Grenz­bereiche der Physik wesentlich detaillierter beschrieben werden als in den drei abschlie­ßenden, dann nur noch kurz dargestellten Beispielen.

 

Also bitte nicht nervös werden, wenn sich mein erstes Beispiel hinzieht. Es betrifft die besonders lehr­reiche Weiterentwicklung der Allgemeinen Rela­tivi­täts­theorie­, die den großen Kosmos sehr erfolgreich beschreibt, und der Quanten­theorie, die die kleinen Elementarteil­chen genauso erfolgreich beschreibt. Dass sich aber diese beiden tragenden gegenwärtigen Theorien widersprechen, wenn man sie gleichzeitig anwen­den muss, beschreibt DIE Krise der gegen­wärtigen Physik!

 

Beginnen wir also unser erstes Beispiel mit Einsteins Allgemeiner Relativi­täts­theorie. Mit ihr konnte man tatsächlich schon 1915 die jahr­hun­derte alte Grund­an­nahme eines stati­schen Universums erschüttern. Experi­mentell entdeckt hat man die Expan­sion des Universums aber erst 1929, also 14 Jahre später. Folglich hat Einstein diese Theorie nicht etwa entwickelt, um eine Expansion zu erklären, die er gar nicht kannte. Er wollte ja nur seine Spezielle Rela­tivitäts­theorie verallge­mei­nern, sie noch symmetrischer machen, und zwar mithilfe der ganz einfachen Idee, dass träge und schwere Masse äquivalent sind. Einzelheiten sind hier zwar unwichtig, aber schon Galileis Fallexpe­ri­­mente legten diese Grundidee nahe.

 

Die Verallgemeinerung gelang Einstein auch, aber zusätz­lich, gleich­sam als "Neben­produkt" der neuen Theorie, kam auch noch die Expansion des Universums heraus. Also: Bewaff­net mit einer einfachen Grundidee und mit Blei­stift und Papier, kann man in ein abgeschlossenes Zimmer gehen, die Rollläden schließen und ohne Blick auf die Außenwelt auf dem Papier ausrech­nen, dass das ganze Universum da draußen explodiert! Außerdem wird man 90 Jahre später merken, dass man diese Rechnung benötigt, um funktio­nierende Navi­ga­tions­­geräte zu bauen! Und auch das nun endlich funktio­nie­rende deutsche LKW-Mautsystem benötigte Einsteins Rechnung! Eindrucks­voller kann sich wohl die Schlüssigkeit einer Theo­rie kaum zeigen.

 

Sie ist auch ein ästhe­tisches Juwel, weil sie die Schwerkraft zurückführt auf eine reine Geometrie der Raumzeit. Und dann wird auch noch diese Geometrie zurück­geführt auf eine Symmetrie der Naturgesetze selbst, auf die Symmetrie nämlich einer Gleich­wertig­keit aller Beob­ach­tungs­­systeme zur Messung der physi­k­a­lischen Größen, und zur Formulierung der physikali­schen Gesetze. Das hat sensationelle Konsequenzen, z.B. die, dass sich Licht von allen Beobachtern gleich schnell entfernt, auch dann, wenn ein Beobachter mit seinem Beobach­tungs­system diesem Licht hinterher rast!

 

Das geht ja gar nicht, sollte man denken. Wenn wir zum Beispiel mit halber Lichtgeschwindigkeit dem Licht hinter­her rasen, dann ist doch das Licht relativ zu uns nur noch halb so schnell! Dann kann sich doch das Licht pro Sekunde nur noch halb so weit von uns entfernen. Aber Einstein sagt: In bewegten Beobachtungs­syste­men verän­dern sich Raum und Zeit. Die betrachtete Sekunde und die Länge des Licht­weges während dieser Sekunde verändern sich, und zwar gerade so, dass die Licht- Geschwindigkeit als Quotient beider Größen doch gleich bleibt.

 

Die Lichtgeschwindigkeit, sagt Einstein, ist symme­trisch im Sinne einer Gleich­wertigkeit aller Beob­ach­tungen. Man misst in verschiedenen Beobachtungssystemen die gleiche Lichtgeschwin­digkeit. Raum und Zeit, je für sich allein genommen, sind aber nicht symmetrisch! Man misst in verschiedenen Systemen verschiedene Werte! Nach meinem Symmetrieprinzip, so Einstein weiter, sollen aber alle physi­kalischen Größen symmetrisch sein. Daher sind Raum und Zeit keine physikalischen Größen, sondern erst wieder die zusammengefasste, vierdimen­sionale Raumzeit.

 

Übrigens gilt diese Symmetrie der Unabhängigkeit vom Beobachtungs­­system in der Speziellen Relativi­tätstheorie nur für unbeschleunigte Beobachtungs­systeme, sogenannte Inertialsysteme, in der Allgemeinen Relativitätstheorie aber für alle Beobachtungs­systeme.

 

Zusammengefasst: So überaus einfach ist die Basis dieses Natur­gesetzes: Einzig und allein aus der Symmetrie einer Gleichwer­tigkeit aller Beobach­tungs­­systeme, und sonst nichts, ergeben sich Urknall, Navigations­gerät und das deutsche Mautsystem! Das Symmetrieprinzip hilft uns doch tatsächlich bei der Entlastung der Staatschulden! Als Einstein vor dem ersten Validierungsexperiment gefragt wurde, wie er wohl im Falle einer Falsifizierung reagieren würde, scherzte er: "Dann hat der liebe Gott eben Pech gehabt! Meine Theorie stimmt trotzdem. Sie ist so einfach und so schön, sie kann nicht falsch sein".

 

Vertrauen in Naturgesetze erwächst offenbar nicht nur aus überstandenen Falsifizierungsversuchen, sondern auch aus ihrer Einfach­heit und Symmetrie. Manche sagen, hier schwächelt Poppers Theorie, sie sprechen von "Popperismus" oder warnen vor "Popperazzos". - Aber: Seit dem schon erwähnten physikalischen Kata­strophen­­­jahr 1998 steht nun doch die Validität dieser grandiosen Theorie auf dem Prüfstand! Die gemessene Beschleuni­gung der Expansion des Universums verlangt ja offenbar nach einer Schwer­kraft, die auch abstoßend sein kann! Und da man noch nie gesehen hat, dass ein Stein auch mal nach oben fällt, kann man sich die Bestürzung der Physiker, die bis heute anhält, wohl gut vorstellen.

 

Die Sache ist allerdings noch kurioser. Einstein, der ja sonst vor keiner physikalischen Idee zurückschreckte, war so tief erschrocken über seine eigene Theorie mit ihrer Konsequenz des nichtstati­schen Universums, dass er nachträglich eine sogenann­te kosmolo­gische Konstante einbaute, die dann doch noch ein statisches Universum ermög­lichte. Als dann später eine Expansion tatsächlich gemessen wurde, sprach er von der größten Eselei seines Lebens, hatte er doch im wört­lichen Sinne die größtmög­liche theoretische Vorhersage verpasst, oder sagen wir ruhig, er hat sie vermasselt.  

 

Allerdings zeigt die 1998'er Messung, dass selbst Eseleien nützlich sein können, wenn sie eben von Einstein kommen. Seine kosmologische Konstante könnte nämlich helfen, die gerade entdeckte Beschleuni­gung der Expansion doch zu erklären. Inzwischen hatte man auch die Quantentheorie weiter­entwickelt, und mit ihrer Hilfe konnte man den Wert der Einsteinschen Kon­stante berechnen.

 

Nach der Unschärfe­relation der Quantentheorie gibt es nämlich nicht nur Orts- und Impuls­unschärfen, sondern auch Energie­schwan­kungen, sogar im sonst leeren Raum. Diese sogenannten Vakuum­fluktuationen sind zwar äußerst kurz­fristig, aber sie sind dennoch nach der berühmtesten Formel überhaupt, E=mc2, äquivalent mit einer Masse. Auch diese Masse übt eine Schwerkraft aus, und diese hier kann sogar abstoßend wirken, wie man es seit 1998 ja brauchte! Wie schön!

 

Aber leider ergab die Rechnung keine Überein­stimmung, sondern die größte Differenz zwischen Theorie und Beobachtung in der Geschichte der Physik. Das quanten­­theore­tische Rechen­ergebnis war viel, viel größer als der Messwert der kosmolo­gischen Konstan­ten in der Relativitätstheorie! Zwar war von vornherein nicht damit zu rechnen, dass beide Werte genau übereinstimmen. Ich sagte ja schon, dass sich beide Theorien widersprechen. Dass sie aber so abartig vonein­ander abweichen, demon­striert das ganze Ausmaß der Krise, in der die Physik zurzeit steckt. Der berechnete Wert war nämlich nicht 1000 oder eine Billion oder eine Billion mal eine Billion mal zu groß, sondern er war eine Billion mal eine Billion mal eine Billion mal eine Billion mal eine Billion mal eine Billion mal eine Billion mal eine Billion mal eine Billion mal eine Billion mal zu groß. Was für eine unsinnige Physik! Wenn ich den Papst bei einem kürzlichen Fernseh­auftritt richtig interpretiere, dann ist wegen der gegenwärtigen Wissenschaftskrise die Ver­su­chung wieder einmal groß, ein göttliches Eingreifen auch schon im potenziell-wissen­schaft­­lichen Bereich zu postulieren.

 

Seit etwa 20 Jahren aber macht die Stringtheorie Hoff­nung, wenn auch eine von Jahr zu Jahr nach­lassende Hoffnung, die Quanten­theorie doch noch mit der Allge­meinen Relativitäts­theorie vereinigen zu können, und so die zeitabhängige Grenze wieder in Marsch zu setzen. Die String­theorie ist mathematisch ähnlich elegant wie Ein­steins Theorie, sie bedient sich aber vorwiegend der Methoden der Quan­ten­theorie und beschreibt trotzdem auch die Gravitation, von vornherein und ganz zwin­gend!

 

Letztendlich liegt hier bereits eine Vereini­gung beider Theorien vor! Sie ist "NUR" noch nicht vali­diert. Die Hoffnung auf die Stringtheorie wurde auch nicht des­wegen ent­täuscht, weil man keine Ergeb­nisse erhielte, son­dern weil man zu viele Lösungen erhält. Man hoffte ja, auf eindeutige Weise die kosmologische Kon­stante und all die anderen Naturkonstan­ten aus­rechnen zu können, deren haar­genaue Werte nach dem anthro­pischen Prinzip Bedingun­gen für die Evolution von Leben sind. Aber man findet unglaublich viele Lösungen, alle mit unterschied­lichen Werten der Naturkonstanten.

Man spricht schon von 101000 solcher Lösungen, das ist eine Eins mit 1000 Nullen, eine Zahl, für die es keinen Namen gibt.

 

Jedoch wurde z.B. vom Physiker Susskind der Vor­schlag gemacht, aus der Not eine Tugend zu machen, nämlich die 101000 Lösungen ernst zu nehmen und sie den Universen eines gewaltigen Multiversums zuzu­ordnen. Dann ist es kein Wunder, dass wenigstens eine von diesen wahnsinnig vielen Lösungen auch unser Univer­sum beschreibt, mit genau den richtigen Naturkonstan­ten, aber auch mit der richtigen Zahl der Dimen­sionen in Raum und Zeit, der richtigen Anzahl von Kräften, usw. Auf diese Weise wäre es dem Schöpfer doch gelun­gen, ohne nach­träg­liche Adjustierung solche unwahrschein­lichen Konstellationen für das Leben von vornherein

in die Natur­gesetze hineinzulegen.

 

Diese Adjustierung ist nämlich bei nur einem Univ­ersum naturgesetzlich sehr schwer zu erklären, z.B. wegen des Zusammenspiels von Chaostheorie und Unschär­fe­relation. Die String­theorie beschreibt dagegen eine Schöpfung mit derart überreichen Möglichkeiten, dass auch unser Leben dabei ist, und wir ahnen vielleicht noch gar nicht, was sonst noch alles dabei ist.

Ich persönlich finde diese Idee sympathisch, fast hätte ich gesagt "eben typisch Gott".

 

Und - es warten noch weitere Überforderungen unserer Vorstellungs­kraft auf uns! Schon 1979 entdeckte Alan Guth, dass sich unser Uni­versum am Anfang inflationär aus­ge­dehnt hat, d.h. weit, weit schneller als mit Licht­geschwin­digkeit. Das ist kein physikalischer Wider­spruch. Zwar ist die Lichtgeschwindig­keit die Grenzge­schwindigkeit für Bewegungen im Raum, aber nicht für die Aus­deh­nungs­ge­schwindigkeit des Raumes. Und das bedeutet, dass wir große Teile unseres Universums gar nicht sehen können, weil ja Sehen im Raum statt­fin­det und daher nur mit Licht­geschwindig­keit funktio­niert.

 

Also ist unser sichtbares Universum von einem noch viel größeren unsichtbaren Universum getrennt, durch einen kosmischen Horizont. Und nun ... , auch noch viele solcher Riesen - Universen? Gleich 101000? Vielleicht sind es sogar unendlich viele, was auch einige Theorien postulieren. Hiernach können sich die schon erwähnten Vakuum­fluktuationen auch verstärken, und zwar so sehr, dass sie zu neuen Universen werden. Und das kann dann von Ewigkeit zu Ewigkeit gesche­hen, eine Formulie­rung, wie sie Christen gut kennen.

 

Wohl gemerkt, auch das wäre keine Schöpfung aus dem Nichts, denn der leere Raum, besser gesagt die leere Raumzeit, ist ja schließlich nicht "Nichts", sondern ein physikalisches Objekt mit bestimmten Eigen­schaf­ten, z.B. den Vakuumfluktuationen. Auch eine solche Raumzeit muss ja erst einmal erschaffen werden!

 

Wie aber, um alles in der Welt, sollen wir eine Theorie der Multiversen einem Popperschen Validierungs­experi­ment unterziehen, wenn wir doch schon von unserem eigenen Universum nur einen sehr kleinen Teil sehen können? Gehören solche Theorien wirklich noch zum potenziell-naturwissen­schaftlichen Bereich, oder sind sie schon Metaphysik? Hier streiten sich die Wissenschaftler. Ich kann Ihnen hierzu nur meine eigene Meinung sagen, die mir aber eine Minderheitenmeinung zu sein scheint.

 

Ich frage mich, welche Chancen sich wohl die Grie­chen ausgerechnet hätten, ihre Atomismus-Theorie je­mals einem Validierungs­versuch unterziehen zu können? Aber heute, 2000 Jahre später, ist der Atomismus eine absolute Grundlage der Physik, und jedem Schulkind bekannt. Was die Theorie der Multiversen betrifft, so haben wir heute auch keinerlei Idee eines Validierungs­versuches. Aber Science Fiction Autoren haben sie, z.B. in Form von Wurmlöchern zwischen den Universen. Und einige Wissenschaftler probieren schon gelegentlich, ob so etwas auch physikalisch gehen könnte. Nicht das ich diese Richtung besonders ernst nehmen würde. Aber sie ist ein Hinweis darauf, dass es nicht undenkbar ist, dass man in weiteren 2000 Jahren die Sache anders beurteilt als heute.

 

Noch weiß man also nicht, ob "Multiversen", wie sie aus einer Vereinigung von Relativitäts- und Quantentheorie hervorgehen könnten, Beispiele für zeitabhängige oder für zeitunab­hängige, endgültige Grenzen der Physik sind. - Dieses war mein erstes (ausführliches) Beispiel.

 

Das zweite, kürzere Beispiel betrifft die Logik der Mathe­matik. Dazu eine vielfach variierte Frage. Nehmen wir heute einmal einen Wohnungs­makler. Überlegen wir, ob ein Makler lügt oder ob er die Wahrheit sagt, wenn er behauptet: "Alle Makler lügen". Wenn er die Wahr­heit gesagt hat, muss er ja, seiner eigenen Aus­sage zufolge, gelogen haben. Er ist ja schließ­lich ein Makler. Wenn er aber gelogen hat, entspricht das seiner eigen­en Behaup­tung, dann hat er ja die Wahrheit gesagt!

 

Fazit: Es gibt keine widerspruchs­freie Antwort auf unsere Frage. Es ist eine Antinomie, die ihre Ursache in der Rückbezüglichkeit der Aussage des Maklers auf sich selbst hat. Eine Rück­bezüglichkeit liegt auch dann vor, wenn man die Frage nach der Physik des Universums stellt. Wenn man das Universum erklären möchte, muss man auch sich selbst erklären, weil man ja ebenfalls zum Universum gehört. Die Rückbe­züg­lichkeit besteht hier einfach darin, dass der Fragende den Fragen­den selbst befragt.

 

Ein etwas anderes Logikchaos verbirgt sich hinter der Frage, ob Gott in seiner Allmacht auch einen Stein erschaf­fen kann, der so schwer ist, dass er ihn nicht mehr hochheben kann. Und schließlich, wenn nach Popper jede Theorie falsifiziert werden kann, warum dann nicht auch seine eigene? Kurt Gödel hat solche Fälle mathematisch streng formuliert und gefunden, dass es tat­sächlich zusam­menbrechende Logiksysteme gibt. Die Logik ist aber die Grundlage der Mathematik, und die Mathe­matik ist die Grundlage der Physik. Da haben wir den Salat, oder seriöser aus­ge­drückt, wir haben nun doch eine grund­sätzliche, zeitunab­hängige Gren­ze der Physik entdeckt. - Oder doch nicht?

 

Die Mathematik ist zwar nicht identisch mit der Mengen­lehre, aber sie ist die Lehre von strukturierten Mengen unter Verwendung bestimmter Axiomen­systeme. Nun gibt es viele Struktu­rierungen von Mengen und auch viele Axiomen­systeme. Daher ergeben sich sehr viele Kombi­na­tions­möglichkeiten aus beidem. Es gibt also sozusagen viele "Mathe­matiken", und nicht alle führen zu Gödel­schen Wider­sprüchen. Die Frage ist aber, welche Mathematik verwendet die Natur? Vielleicht gerade eine solche, die nicht zu Gödel­schen Wider­sprüchen führt? - Wieder einmal weiß man noch nicht, ob eine Grenze für die Physik endgültig oder nur zeitabhängig ist.

 

Mein drittes Beispiel betrifft komplexe, also vernetzte und nichtlineare Systeme, wie die Atmosphäre, die Wirt­schaft, Lebewesen und deren Gehirne, Gesell­schafts­systeme usw. Es gibt viele Komplexi­täts­theorien, sei es Prigogines Theorie der dissipativen Strukturen, Herrmann Hakens Theorie der Synergetik, Manfred Eigens Hyperzyklen, Per Baks selbst­organi­­sierte Kritizität, die Chaostheorie von Lorenz, Feigen­baum und Mandelbrot, die Katastrophen­theorie von Thom und Arnold, oder sei es eine von weiteren Theorien.

 

Das sind ja alles wunderbar ausgedachte Namen, aber fast nie hat eine dieser Theorien etwas mit einer anderen zu tun, oft widersprechen sie sich, und fast immer bekämpfen sich ihre Erfinder. Vielleicht ist die Chaostheorie noch die bedeutendste dieser Theorien, aber gerade sie ist mathematisch nur für bis zu vier Freiheitsgraden durchformuliert. Zum Vergleich: Ein Klimamodell hat etwa 50 Millionen Freiheitsgrade, und das Klima selbst noch viel, viel mehr. Die Anwendbarkeit der Chaostheorie auch hier ist auch nur eine, wenn auch plausible, Hypothese. Und dann gibt es ja noch das Lager der Reduktionisten, welche sagen, wir benötigen überhaupt keine Komplexitäts­theorie. Vielmehr erklären sich komplexe Systeme allein aus den einfachen und symme­trischen Natur­gesetzen. Niemand weiß es!

 

Mein viertes und letztes Beispiel betrifft die Frage nach der Zahl der Dimen­sionen und der Symmetrien in höher­dimensionalen Räumen, wie sie Stringtheoretiker und andere Physiker voraus­setzen.

Es gibt tatsächlich plausible Gründe für die Annahme, dass unser Universum mehr als drei Raum­dimensionen hat, vielleicht auch mehr als eine Zeitdimension. Wenn das stimmt, dann sind wir echte Platon'sche Höhlenmenschen. Der einzige Unterschied ist, dass wir nicht zwei von drei Raumdimensionen als flächenhafte Projektion an der Höhlenwand sehen, sondern 3 von 9 oder 10 oder 26, je nach Typ der Theorie.

 

Die Plausibilität dieser Annahme begründet sich folgender­maßen. Wenn man eine höher­dimen­sionale Raumzeit voraussetzt, dann kann man alle existieren­den Kräfte - also Schwer­kraft, von der ich bisher ausschließlich sprach, aber auch elektromagnetische Kraft und die beiden Kern­kräfte - auf Raumzeit­geometrien zurück­­führen, und diese auf Symmetrien, also ganz genau so, wie das Einstein 1915 in der nur vierdimen­sionalen Raumzeit zur Erklärung nur der Schwer­kraft getan hat.

 

Noch einmal: In Einsteins vierdimensionaler Raumzeit ist Schwer­kraft reine Geometrie und Symmetrie. Das ist experimentell validiert. In der höherdimensionalen Raumzeit der String­theoretiker sind alle bekannten Kräfte reine Geometrie und Symmetrie. Das ist nicht validiert. Aber schöner und symmetrischer geht es wohl kaum!

Soll man dennoch Popper folgen und sagen, das sei keine Physik mehr? Ich finde das nicht.

 

Jedoch - warum ist eigentlich bei all der Symmetrie die beobachtete Natur unsym­me­trisch? Warum schlägt z.B. das Herz links? - Weil der Mensch kein Naturgesetz ist, welches ja symme­trisch wäre, sondern eine Lösung der Natur­gesetze. Naturgesetze sind Gleichungen, und Gleichungen haben Lösungen. Aber: Lösungen haben oftmals nicht die gleiche Symmetrie wie die Naturgesetze selbst. Wann und warum die Symmetriebrüche unseres Univer­sums aufgetreten sind, weiß man allerdings nicht, außer, man findet aus den 101000 String­theorien diejenige heraus, die uns das sagt.

 

Vielleicht haben wir ja schon die richtige Theorie. Vielleicht muss man sie nur noch herausfischen aus der Menge von 101000 Theorien, von denen die allermeisten leblose Universen beschreiben.

 

Die Entscheidung darüber, ob eine solche Grenze der Physik, wie wir sie beim vierten Versuch gefunden haben, zeit­ab­hängig oder endgültig ist, überlasse ich einmal Ihnen. Aber denken Sie daran, dass die Suche nach der passen­den Theorie ziemlich lange dauern kann! Ich habe einmal in einer Thermo­dynamik-Vorlesung vorgerechnet, wie viel Zeit man benötigt, um die Gas­moleküle abzu­zählen, die in einem üblichen Laborgefäß enthalten sind. Das sind ungefähr 1023 Stück. Wenn man ganz flott 10 Moleküle pro Sekunde abzählt, braucht man dafür das 100 000-fache der Zeit, die seit dem "Urknall" vergangen ist!

 

Und nun sollen wir nicht 1023, sondern 101000 Theorien danach durch­forsten, welche von ihnen die für uns richtigen Symmetriebrüche hat, und die exakten Werte der Naturkonstanten, wie sie für die Existenz des Lebens notwendig sind! Allein die kosmo­logische Konstante muss in der 120-ten Stelle nach dem Komma stimmen, sonst gibt es kein Leben! Selbst wenn man pro Sekunde 10 Theorien auf all diese Eigenschaften testen, benötigt man das 10977- fache der 100 000 – fachen der Zeit nach dem Urknall, bis Sie alle Theorien getestet haben.

 

Da fällt mir nur noch ein Satz aus Cornelias vorletzter Predigt ein: Der Frage nach Gott kannst du niemals mehr entrinnen! (Meine Anmerkung: schon gar nicht durch eine Flucht in die Natur­wissenschaft). Und das ist kein intellektuelles, unverbindliches Gedan­ken­spiel, so Cornelia weiter. (Anmerkung: sondern z.B. ganz konkrete Physik, die dich wieder einholt und dich dann auch existenziell trifft).

 

Physik kann dich existenziell treffen, auch und gerade dann, wenn sie nicht technisch angewendet wird! Das kann die Physik, aber die Wahrheit erkennen, das kann sie nicht. Die 4 Beispiele sollten demonstriert haben, dass die Naturwissenschaft schon den potentiell-wissenschaftlichen Bereich wohl nie ausschöpfen wird. Aber kann vielleicht die Theologie die Wahrheit erkennen? Hören wir uns Cornelias Antwort an!

 

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